Steiner Wassertag

 

Am Steiner Wassertag, dem Tag des verheerenden Unwetters am 13.5.1827, stiegen die Wasser des Mühlbachs um 14 Schuh.
  Am ehemaligen Verwaltungs- und Forstamt zeigt noch eine Steintafel die Höhe des damaligen Wasserstandes an.
Ein vergilbtes Blatt der „Karlsruher Zeitung“ vom 17. Mai 1827, das im Pfarrarchiv aufbewahrt wird; ferner ein ausführlicher Eintrag von Dekan Gräbener im Steiner Kirchenbuch des gleichen Jahres und eine Niederschrift des Bürgermeisters Mößner vom Jahre 1842 geben uns Kunde von diesem Naturereignis, dem sogenannten „Steiner Wassertag“. Im Archiv des Rathauses befindet sich eine genaue Schadensfeststellung, in der alle Bürger namentlich und die von ihnen erlittenen Verluste im einzelnen aufgeführt sind.

Wie diese Urkunden berichten, zog an dem genannten Tage, nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr, von Nordosten ein Gewitter auf. Zunächst maß man dem aufziehenden Unwetter keine besondere Bedeutung bei. Aber im Laufe einer halben Stunde entwickelte es sich zu einem
„mit Donner, Hagel und Blitz begleiteten, bei Menschen Gedenken nicht erlebten Wolken-bruch“. Unmengen von Schloßen in der Größe von Walnüssen und Hühnereiern fielen vom Himmel herab.
Aus den umliegenden Tälern, insbesondere aus dem „Kohlloch“, schossen unheimliche Wassermassen ins Dorf, so dass binnen kurzem der Mühlbach um 14 Schuh anstieg und eine unbeschreibliche Verwüstung anrichtete.

Die ganze Nacht über tobte das Wetter, das besonders verhängnisvoll wurde dadurch, dass mehrere Gewitter über unserem Talkessel zusammentrafen. Die Erdgeschosse der tiefer gelegenen Häuser wurden vollkommen überschwemmt, teilweise wurden auch die darüber befindlichen Stockwerke in Mitleidenschaft gezogen.

Zehn Menschen wurden von dem wilden Wasser verschlungen. Gottlieb Kopp verlor seine sämtlichen vier Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren. Bernhard Kirchner büßte drei Kinder ein, von denen das jüngste erst 10 Monate und das älteste 11 und ein halbes Jahr alt war. Aus dem Obergeschoß des heutigen Jostschen Hauses am Marktplatz wurde ein 69jähriger Mann namens Georg Müller herausgerissen. Die Fluten trugen ihn in Richtung Königsbach an der Häuserfront des Marktplatzes entlang. Dabei stieß er an den heute in der Neuen Brettener Straße befindlichen Wirtsschild des Gasthauses "Zum Sternen", das sich damals in dem Hause befand, das heute Karl Bauer gehört. Der Greis klammerte sich an dem Schild fest in der Hoffnung, sich dadurch retten zu können. Jedoch brach das schmiedeiserne Kunstwerk auseinander und Müller fand den Tod in dem tosenden Wasser. Seine Leiche würde erst fünf Wochen später an der Mühle zu Singen aufgefunden und am 19. Juni in Stein beerdigt.

Ebenso wurde ein dreijähriges Söhnlein des Konrad Knappschneider im Schloßpark des Herrn von St. André in Königsbach tot aufgefunden. Die Opfer des Unwetters wurden, soweit sie geborgen waren, am 15. Mai "unter einer unzählbaren Menge von auswärts herbeigeströmter Menschen" auf dem Kirchhof beigesetzt.

Sehr groß waren auch die Verluste in den Stallungen. Wie aus der Schadensliste auf dem Rathaus hervorgeht, gingen 86 Stück Rindvieh verloren, 12 Pferde, 4 Fohlen, 120 Schweine, 2 Schafe und 9 Geißen, also insgesamt 233 Stück Vieh; außerdem natürlich noch viel Kleinvieh und Geflügel.

An Gebäuden wurde eine Mühle und zehn Häuser und Scheunen „von Grund aus, ohne nur eine Spur zu hinterlassen“, weggerissen. 72 Häuser wurden mehr oder weniger stark beschädigt. Der ganze Ort wurde durch Anhäufung von Schloßen und Schutt verwüstet, die Lebensmittelvorräte größtenteils vernichtet.

Auf den Feldern wurden ebenfalls große Verheerungen angerichtet. Die Äcker wurden von einer dicken Schlammschicht bedeckt und fast alle Gewächse durch die Schloßen zerschlagen, „wodurch den mehrsten Inwohnern ihre Nahrung zu Grunde gerichtet worden und die Leute in unermeßlichen Schrecken versetzt wurden“.

Bürgermeister Mößner berichtet, daß aber durch die Gnade Gottes in der Folgezeit gedeihliche Witterung geschickt wurde, wodurch sich manches Nahrungsgewächs wieder erholt habe. Mößner hebt auch hervor, daß Gott die Herzen der näheren und ferneren Mitbürger erweckt habe und durch „mildtätige Beysteuer“ die Not für Nahrung der Menschen und Vieh gelindert wurde. Der Verleger der "Karlsruher Zeitung", Hofbuchhändler P. Macklot erließ einen Aufruf an die Leser seiner Zeitung, daß sie helfen möchten, das Elend schnellstens zu mildern. Die Höhe des gesamten Schadens wurde auf 117 000.- Gulden geschätzt.

Hundert Jahre lang haben die Steiner ihren „Wassertag“ alljährlich am 13. Mai durch zwei Gottesdienste begangen.