GrenzsteineGeschichte, Typologie und Bewahrung |
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Auszüge aus Roland Schmitt „Grenzsteine“ | ||
Das landläufige Chaos, das die Kriege im 17. Jahrhundert über Mitteleuropa gebracht hatten, erforderte eine umfassende Bestandsaufnahme der Besitzverhältnisse von Grund und Boden. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurden, auch Dank verbesserter technischer Methoden, allerorten Landvermessungen vorgenommen. Es erfolgte eine Neuzuteilung der Felder und Weiden, die Lehensverhältnisse wurden ebenfalls neugeordnet. Das schon in früheren Zeiten übliche Abgehen der Banngrenzen erfuhr nun eine konsequente und bis ins Detail festgelegte Regelung. Es wurden Grenzsteine gesetzt. Die exakte Standortbestimmung für einen neuzusetzenden oder zu ersetzenden Grenzstein oblag dem Geometer, der mit allerlei Gerät die Grenzlinie vermessen und die Abstände zwischen den einzelnen Grenzsteinen festlegen mußte. Die eigentliche Setzarbeit vor Ort übernahmen dann die Feldgeschworenen: Dies waren in der Regel sieben unbescholtene Männer, die von der Dorf- gemeinschaft für diese Aufgabe bestimmt wurden. Sieben, um eine Patt-situation im Streitfall auszuschließen. Sieben Feldgeschworene: Aus ihrer Mitte wurde der sogenannte „Senior“ gewählt, der für die Protokolle bzw. später für das Lagerbuch oder Bannbuch verantwortlich war. In diesem wohlgehüteten Buch wurden alle Aktivitäten der „Siebener“ festgehalten. Der 2. Feldgeschworene vertrat den Senior, musste wenigstens seinen Namen schreiben können und betreute das Ruthenmaß. Der 3. Feldgeschworene verwahrte die Zweitschlüssel für Schatullen und Schränke, in denen wichtige Dokumente gelagert wurden und hantierte mit einem Spieß zum Wiederfinden von versunkenen Grenzsteinen. Die nächsten drei Feldgeschworenen waren für die Grabwerkzeuge zuständig. Sie verrichteten wohl die eigentliche körperliche Arbeit beim Grenzsteinsetzen. Der 7. Feldgeschworene kümmerte sich um die geheimen Grenz(stein)zeugen und um Sondermaße. Damit die Standorte der Grenzsteine überliefert wurden, zog man Kinder hinzu, in der Regel Knaben, die sich die exakten Standpunkte der Grenzsteine merken mussten. Damit sie sich die Standorte auch wirklich gut merkten, verabreichte man ihnen eine saftige Ohrfeige - seinerzeit war man der Meinung, dass das Gedächtnis rund um das Ohr angesiedelt sei - oder eine „Kopfnuss“. Danach wurden die Jungens aber auch mit Süßigkeiten, Nüssen und Früchten belohnt. Um das Verrücken von Grenzsteinen zu erschweren, baute man in unmittelbarer Nähe und unterhalb des Grenzsteines eine örtliche Sicherung ein. Dies geschah mit Hilfe von sogenannten Grenz- bzw. Marksteinzeugen. Ab dem 18. Jahrhundert wurden, vornehmlich in Süddeutschland, Grenzzeugen in den vielfältigsten Formen aus Ziegel, Ton, Porzellan oder Glas hergestellt. Meist hatten diese kleinen Plättchen eine Spitze, um in Richtung der korrekten Grenzlinie weisen zu können. Sie waren mit den Initialen und/oder Wappen der Gemeinde bzw. der Herrschaft versehen. Manche Zeugen bestanden aus zwei Hälften, die erst vor Ort bei der Grenzsteinsetzung von einem Feldgeschworenen gebrochen wurden. Bei einer Kontrolle konnten deshalb nur diese Teilstücke optimal zusammenpassen. Auf vielen Grenzsteinen befindet sich auf dem kopf eine Einkerbung, die sogenannte „Weisung“. Die Grenzsteine, die auf einer geraden Grenzlinie stehen, werden „Läufer“ genannt und haben entsprechend eine gerade Weisung. Die Haupt- bzw. Ecksteine markieren die Stelle, an der der Grenzverlauf einen Knick macht, was die dem Verlauf entsprechende Weisung veranschaulicht. Grenzsteinen wurden seit frühester Zeit eine besondere, ja kultische Bedeutung zugesprochen. Über die Jahrhunderte hinweg entwickelten sich Zaubergeschichten und sonderliche Bräuche. Im „Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens“ sind unter dem Stichwort „Grenze, Rain, Grenzstein“ etliche Sageninhalte bibliographiert. So glaubte man z.B., dass das Pulver eines zerstoßenen Grenzsteines heilende Wirkung bei Krankheiten habe, Arzneien, die man bei einem Grenzstein deponiere, würden ihre Heilkraft steigern. |